Juni 10

I. „Tapfer“ sterben für …

„Tapfer“ sterben für …

… ja für was denn?

Sollten deutsche Soldaten wirklich in der ganzen Welt kämpfen?

Gedanken zum Zeitgeist I – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

43 Soldaten der Bundeswehr sind bisher allein in Afghanistan gestorben.[1] Wie viele Menschen in diesem Auslandseinsatz von deutschen Soldaten getötet wurden, ist vermutlich unbekannt. Unvermeidlich unserer Kenntnis entzieht sich das Leid, welches durch diesen Einsatz in die Welt getragen wurde – bei allen beteiligten Menschen. Sicher ist, dass unzählige Menschen um den Verlust eines geliebten Menschen trauern. Jedes Mal Schmerzen, die nicht mehr verschwinden wollen – das Kind ohne Vater, der Bräutigam ohne Braut.

Sicher ist ebenso, dass unzählige Soldaten traumatisiert nach Hause kommen. Auch hier, Schmerzen, die nicht mehr verschwinden wollen – die Schuld am Tot anderer Menschen, oder dem eigenen Tod gerade noch einmal entronnen. Das ist der Preis für die deutsche Außenpolitik seit der Wiedervereinigung!

Wir tragen die Verantwortung

Doch, muss das zwingend so sein? Und, wofür kämpfen unsere Soldaten denn überhaupt? Und wissen diese Soldaten eigentlich von Anfang an, welchen Beruf sie letztendlich ausüben? – Und sind wir Bürgerinnen und Bürger uns überhaupt bewusst, dass wir für all das angerichtete Leid die Verantwortung tragen? In einer Demokratie ist der Souverän das Volk![2] Die Soldatinnen und Soldaten (junge Menschen, die meist noch keine Vorstellung von Tod und Sterben haben; und die nicht wissen, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu töten) haben sich in ihrem Eid unserer Freiheit und unserer Verfassung verpflichtet, letztlich also uns als Volk.[3] Wir tragen also die Verantwortung dafür, was diesen Menschen widerfährt und was diese Menschen in der Welt anrichten. Also sollten wir für uns all diese Fragen beantworten.

Anderen Nationen ein Vorbild sein

Muss Deutschland seine Soldaten in die Welt schicken? Ich denke, nein. Für Frieden und Freiheit kann in der Regel mit nichtmilitärischen Mitteln effektiver und glaubwürdiger gehandelt werden. Im 21ten Jahrhundert kann und darf der Einsatz von Militär nur noch das wirklich letzte Mittel, die Ultima Ratio sein! Und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gibt es gerade für Deutschland eigentlich auch eine für jeden vernünftigen Menschen nachvollziehbare (Selbst-)Verpflichtung, einen friedlichen Weg zu gehen. Das würde zeigen, dass Deutschland aus der Geschichte gelernt hat und anderen Nationen ein Vorbild sein kann.

Außenpolitik des 19ten Jahrhunderts

Wofür kämpfen unsere Soldatinnen und Soldaten überhaupt? Der Eid spricht von „Recht und Freiheit“. Aber wird unsere Freiheit tatsächlich am Hindukusch bedroht und somit auch verteidigt? Herr Köhler hat es ungeschickterweise ausgesprochen (und wohl, damit darüber nicht weiter diskutiert wird, ist er schnell zurückgetreten). Tatsächlich werden die meisten bewaffneten Konflikte aus wirtschafts- und machtpolitischen Gründen ausgetragen. Und mindestens solange in Deutschland mit der Produktion und dem Export von Kriegswaffen Milliardenumsätze[4] gemacht werden, ist jedes militärische Argument scheinheilig. Bestenfalls müssen die Soldaten den Käufern der Waffen diese wieder aus der Hand schlagen. Doch, wie wir aus den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten entnehmen können, geht es tatsächlich wohl ohnehin eher um eine Rückkehr zur Außenpolitik des 19ten Jahrhunderts – im Einvernehmen mit einer global ziemlich sorglos agierenden Wirtschaft.

Politik wird mit dem Leid anderer Menschen bezahlt

Der Zynismus einer solchen Politik schreit einen förmlich an. Denn diese Politik wird wissentlich mit dem Leid anderer Menschen bezahlt. Mindestens einige hundert Menschen sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mittlerweile wieder durch den Einsatz deutscher Soldaten getötet worden, viele andere verstümmelt oder traumatisiert. Menschen aus fernen Ländern, die häufig nicht einmal wissen, wo Deutschland liegt. Und Soldaten, die im Vertrauen auf das Verantwortungsbewusstsein der politischen Führung ihre eigene Entscheidungsfreiheit an diese Führung abgegeben haben. Zumindest zu Beginn ihrer Dienstzeit sind diese Soldaten zudem junge Menschen, die sich von Geld und Abenteuer locken lassen und keine Vorstellung davon haben, was sie in einer tatsächlichen Gefechtssituation erwartet. Der „normale“ Arbeitstag eines Soldaten kann mit dem Tod enden – oder mit dem Trauma, Menschen getötet zu haben. Ich bin mir sicher, diese Tatsache ist vielen Soldaten bei ihrer Entscheidung für diesen Beruf in ihrer ganzen Tragweite nicht bewusst. Denn ihr Gewissen befragen müssen die Menschen, die den Dienst an der Waffe ablehnen, nicht die, die die Waffe in die Hand nehmen!

Persönliche politische Entscheidungen

Möglicherweise gibt es auch nachvollziehbare Argumente für die Kampfeinsätze der Bundeswehr. Aber am Ende der persönlichen Auseinandersetzung mit den genannten Fragen komme ich immer zu der Frage nach meiner eigenen Menschlichkeit. Im Bewusstsein der genannten Tatsachen sollte sich jede Bürgerinnen und jeder Bürger in Deutschland fragen, ob sie und er die Kampfeinsätze deutscher Soldaten im Ausland verantworten kann. – Kann ich es verantworten, Menschen diesem Leid auszusetzen? Oder gibt es nicht auch andere, weniger leidvolle Wege? Und die gefundenen Antworten auf diese wirklich existenziellen Fragen sollten die Basis bilden für die persönlichen politischen Entscheidungen – bei Wahlen, in Parteien, in Diskussionen.

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Quellen

[1] http://www.spiegel.de/flash/flash-23114.html, 5. Mai 2010.

[2] Art. 20 GG Abs. 2 Satz 1: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.

[3] „Ich schwöre der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ §9 Soldatengesetz, Eidesformel für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit der Bundeswehr.

[4] Z. B. http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article1421593/U-Boot-Verkauf-treibt-deutsche-Ruestungsexporte-an.html, 16. März 2010.

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Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

I. Tapfer sterben für …

II. Der Finger in der Wunde

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

IV. Mehr Schein als Sein

V. Begründung einer Hoffnung

VI. Wer das Geld hat –

VII:.…


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Veröffentlicht10. Juni 2010 von Schriftleiter in Kategorie "Hauptartikel", "Kommentare", "Militär", "Politik und Gesellschaft